Textilsammlung von Weltrang
Internationales Textilsymposium mit großem Erfolg an der Hochschule Reutlingen
„Das ist wahrscheinlich eine der besten Sammlungen ihrer Art weltweit!“, so der international renommierte Experte Prof. Dr. Hans Bjarne Thomsen von der Universität Zürich begeistert über die Textilsammlung der Hochschule Reutlingen. Gemeinsam mit Experten aus Deutschland, der Schweiz und Japan untersuchte er über zwei Jahre die Sammlung und stellte die Ergebnisse nun zusammen mit seinem japanischen Kollegen Prof. Dr. Kazuto Sawada vom National Museum of Japanese History, Tokio, während des zweitägigen Textilsymposiums vor rund 140 interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor.
Aus unterschiedlichsten Perspektiven untersuchte das internationale Symposium die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft historischer Textilsammlungen, unter anderem aus Europa, Südamerika, Japan und Indien. Dabei lag ein besonderer Schwerpunkt auf der japanischen Sammlung der Hochschule Reutlingen, die der Leibarzt des japanischen Kaiserhauses, Dr. Erwin von Baelz im 19. Jahrhundert aus dem Kaiserreich mitbrachte. International renommierte Forscher rund um Thomsen aus der Schweiz, Japan und Deutschland haben diese hervorragend erhaltenen Textilmuster in den letzten Jahren untersucht und nun ihre Einzigartigkeit bestätigt.
Die japanische Sammlung umfasst rund 900 textile Muster, die von Baelz, der sein Medizinstudium in Tübingen und Leipzig absolvierte, persönlich in Japan sammelte und kaufte. Von Baelz, geboren 1849 in Bietigheim-Bissingen, gestorben 1913 in Stuttgart, war verheiratet mit einer Japanerin und lebte von 1876 – 1905 in Japan. Er lehrte dort Medizin und bewegte sich als Leibarzt des Kaisers in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen. Die sogenannte „von Baelz`sche Sammlung“ aus dem 17.-19. Jahrhundert, die sich im Besitz der Hochschule Reutlingen befindet, fand den Weg über die Württembergische Zentralstelle für Gewerbe und Handel nach Reutlingen. Von Baelz sammelte und verkaufte während seiner Zeit in Japan japanische Objekte (circa 7.000), darunter auch japanische Textilmuster, an die Königlich Württembergische Zentralstelle für Gewerbe und Handel, welche den königlichen Auftrag hatte, die heimische Wirtschaft durch Inspiration und Wissenstransfer aus dem Ausland anzukurbeln. Der textile Teil der umfangreichen Sammlung wurde 1933 als Dauerleihgabe an die Reutlinger Webschule, die heutige Hochschule Reutlingen, zu Lehr- und Anschauungszwecken transferiert.
Von Baelz kaufte Forschungen zu Folge viele der Textilmuster selbst in einem Spezialgeschäft für gebrauchte, luxuriöse Textilien in Tokio. Diese Textilien waren teurer als neue Textilien und stammten wohl oftmals aus kostbaren Handtaschen, die japanische Frauen während der Edo-Zeit trugen. Teile dieser luxuriösen Textilien finden sich in der japanischen Sammlung der Hochschule. Goldene und silberne Fäden wurden hier von Hand in aufwendiger Webtechnik in kunstvolle Muster gewebt und so ein atemberaubend schöner Effekt erzielt. Eine Besonderheit der japanischen Sammlung der Hochschule besteht, neben dem außergewöhnlich guten Zustand der Sammlung und dem nahezu einzigartig großen Umfang, laut Prof. Dr. Sawada darin, dass sie mehrere Muster enthält, die in der sogenannten Kinkazan-Technik gewebt wurden. Eine aufwendige und seltene Webtechnik, für die aufwendig gedrehte Silber- und Goldfäden verwendet wurden und so ein samtartiger Effekt erzielt wird. Obgleich es laut dem internationalen Experten in Japan selbst nur noch wenige gut erhaltene Muster dieser Technik gibt, enthält die Reutlinger Sammlung gleich mehrere Muster dieser besonderen Textilien von historischem Wert.
Den herausragenden Textilien der Sammlung in Zukunft ein entsprechendes Zuhause geben, das soll in möglichst naher Zukunft im Rahmen des in der Planung befindlichen Gebäudes „Texoversum“ in Kooperation mit Südwesttextil e.V., dem Verband der Südwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie, geschehen. Dies betonten sowohl der Präsident der Hochschule, Prof. Dr. Hendrik Brumme, als auch Ministerialdirektor Ulrich Steinbach während ihrer feierlichen Eröffnungsreden zum Auftakt des Symposiums. Seit dem Umzug der Fakultät Textil & Design im Jahr 1994 auf den Campus im Reutlinger Hohbuch ist die Textilsammlung für die Öffentlichkeit nur auf Anfrage zugänglich. „Die Sammlung wird im Rahmen der Lehre gerne als großer Schatz zur Inspiration und auch zur Erklärung bestimmter Techniken verwendet“, so OStRin Regine Lechler-Fiola, die die Textilsammlung der Hochschule federführend betreut und eine der treibenden und organisierenden Kräfte hinter dem internationalen Textilsymposium war. Im Rahmen des zweitägigen Symposiums hielten 17 internationale Expertinnen und Experten aus Deutschland, Japan, der Schweiz, den USA und den Niederlanden Fachvorträge und tauschten sich begeistert über den einzigartigen Wert der Reutlinger Sammlung für die Fachwelt aus. Prof. Dr. Dorothee Haffner von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin fasste die Gedanken der Expertinnen und Experten zusammen: „Es ist genau richtig, was Sie hier machen – die Sammlung in die Öffentlichkeit bringen und sichtbar machen, Experten und Kompetenzen zusammenbringen. Herzlichen Glückwunsch!“