Live-Übertragung aus dem Maschinenlabor für Kunststoffverarbeitung
Am Campus Minden können die praxisintegrierten Studierenden dank des Konzepts von Prof. Dr.-Ing. Daniel Paßmann und seinem Team trotz der Pandemie praktische Erfahrungen sammeln.
Die Maschinen brummen, ein angenehmer Geruch von Kunststoff liegt in der Luft. Prof. Dr.-Ing. Daniel Paßmann sitzt vor seinem Computer. Über seinen Bildschirm ragt eine Webcam, für die perfekte Ausleuchtung ist sie an einem Stativ inklusive Ringlicht befestigt. Paßmann befindet sich im Maschinenlabor für Kunststoffverarbeitung am Campus Minden der Fachhochschule (FH) Bielefeld. Per Videokonferenz-Tool ist er mit den Studierenden seines Kunststoffverarbeitungskurses verbunden. Für sie streamt er live aus der Maschinenhalle.
Wie alle Lehrenden der FH Bielefeld musste sich auch Paßmann aufgrund der Corona-Pandemie Lehrformate überlegen, die auch online funktionieren. „Im Kunststoffverarbeitungspraktikum arbeiten wir mit speziellen Maschinen. Zum Beispiel mit einer Spritzgießmaschine mit Formwerkzeug, die Stapelkästen produziert. Es ist unabdingbar, dass die Studierenden die Bedienung und Funktionsweise so einer Maschine verstehen, da es letztlich zum generellen Verständnis der Kunststoffverarbeitung beiträgt“, sagt Paßmann.
Größerer Lerneffekt durch Interaktivität
„Es wäre auch möglich gewesen, dass wir Videos begleitend zur Vorlesung produzieren, um den praktischen Teil abzudecken“, sagt der Professor für Kunststofftechnik. „Aber das wäre aus unserer Sicht eine unzureichende Alternative gewesen, da das nicht interaktiv ist und dadurch einen geringen Lerneffekt hat.“ Für das live-gestreamte Praktikum aus dem Maschinenlabor saß der Professor natürlich nicht nur vor dem Computer. Zum Ablauf gehörte auch, dass er den Studierenden per Tablet-Kamera und Headset eine detaillierte Maschinenbesichtigung gab. Unterstützt wurde er dabei durch zwei wissenschaftliche Mitarbeiter, Florian Ernst und Hubertus Lübbesmeier. „Die beiden haben die Operationen mit den Maschinen durchgeführt. Währenddessen haben die Studierenden Fragen an mich gestellt, die wir unmittelbar diskutiert oder mittels der Kamera beantwortet haben“, beschreibt Paßmann den Ablauf.
Wissenschaftliche Mitarbeiter als verlängerter Arm der Studierenden
Genau wie bei einem richtigen Praktikum vor Ort mussten die Studierenden selbst Vorgaben zur Durchführung des Online-Praktikums machen. Die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter waren dafür der verlängerte Arm der jeweiligen Kleingruppen. Welche Maschinenparameter sollen als nächstes eingestellt werden? Wie lautet die aktuelle Temperatur? Wie sieht die Qualität der hergestellten Kunststoffteile aus?
„Dabei ging es nicht darum, dass auf Anhieb ein perfekter Versuchsdurchlauf klappt“, erzählt Paßmann. „Die Studierenden sollten auch lernen, Fehlerbilder bei den produzierten Teilen zu erkennen, um zu verstehen, welche Parameter sie beim nächsten Mal anders einstellen müssten.“
Einblicke direkt aus dem Inneren der Maschine
Für noch bessere Einblicke in das Maschinen-Innenleben platzierten die Lehrenden zusätzlich eine kleine Actionkamera. „Normalerweise stellen wir eine Trittleiter an die Maschine, damit die Studierenden einen Blick ins Innere auf nicht so gut zugängliche Stellen werfen können. Aber auf einer Leiter kann ja nur jeweils eine Person gleichzeitig stehen“, meint Paßmann. „Ich kann mir daher gut vorstellen, auch künftig weiterhin mit den Kameras beim Präsenzpraktikum zu arbeiten.“
Den Studenten Gunnar Schröder hat genau dieser Aspekt begeistert: „Es war so, als würde man permanent in der ersten Reihe stehen.“ Schröder studiert im 6. Semester praxisintegriert den Bachelor Wirtschaftsingenieurwesen am Campus Minden. „Mit meinen 1,99 Meter stehe ich bei den Praktika meist weiter hinten, um den anderen nicht die Sicht zu verdecken. Mithilfe der Kameras konnte ich nun bei dem Online-Praktikum permanent alles perfekt einsehen“.
Lob für die perfekte Organisation
Der 22-jährige Student zeigte sich auch sonst durchweg begeistert von der Durchführung des Online-Praktikums. Hat er dennoch Verbesserungsvorschläge? „Mir ist nur aufgefallen, dass der Stream nicht HD-Qualität entsprach, aber das liegt ja letztlich einfach an der Internetverbindung.“
Allerdings: Wie sehr vielen Studierenden fehlt auch Schröder der persönliche Kontakt zu seinen Kommilitoninnen und Kommilitonen. Gemeinsam vor dem Labor warten, sich unterhalten – das entfällt in den digitalen Veranstaltungen. Und dennoch kann er dem Online-Praktikum weitere Vorteile abgewinnen: „Ich finde es gut, dass man sich nicht erst ins Auto setzen muss und ich dadurch nun Zeit spare.“
Insgesamt 25 Studierende aus den praxisintegrierten Studiengängen Maschinenbau, Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurwesen besuchten das Kunststoffverarbeitungspraktikum, das Paßmann in Verbindung mit der gleichnamigen Vorlesung anbietet. Der Kurs findet normalerweise in Präsenz als Blockpraktikum statt. Pro Termin ist dann eine Gruppe von vier bis fünf Studierenden vor Ort. „Ein Versuchsdurchlauf dauert etwa vier Stunden, das gilt auch für das Online-Praktikum“, beschreibt der Professor. Für ihn und seine Mitarbeiter ist das Praktikum zeitaufwendig, online sogar noch ein Stück mehr als in Präsenz.
Sinneseindrücke für besseres Lernen
Trotz des reibungslosen Ablaufs und des Lobes der Studierenden ist für den Professor klar, dass manche Aspekte beim Online-Format fehlen: „Vor Ort im Labor brummen die Maschinen, es ist warm, die Studierenden können den Kunststoff riechen und die Bauteile anfassen. Das sind wichtige Sinneseindrücke, die das Lernen unterstützen.“ Er hat außerdem beobachtet, dass sich die Studierenden im Präsenzpraktikum mehr beteiligen.
Dass die Studierenden nicht direkt vor der Maschine stehen, sondern nur online per Kamera zugeschaltet sind, ist jedoch auch kein realitätsfernes Szenario: „Schon jetzt ist im industriellen Umfeld die digital unterstützte Wartung etabliert“, betont Paßmann. „Die Erfahrungen, die Studierenden nun im Online- Semester sammeln, helfen ihnen also für ihre berufliche Zukunft.“