Grenzenlose Hilfe für Erstis
Wie ein „Buddy“ der THM einem jungen Bolivianer das erste Semester rettete
Im Sonnenlicht sitzen sie auf den Bänken in der Wiesenstraße, halten Abstand, wenden ihre negativen Selbsttests etwas verloren zwischen den Fingern – die Masken haben sie abgelegt. Oft haben sie sich noch nicht gesehen im echten Leben. Und doch kennen sich Eduardo Andrei Rocha Pinaya und Michael Melbourne Schmidt gut. Fast täglich hatten sie im Wintersemester digital Kontakt. Denn Andrei und Michael sind „Buddys“, also ein Team aus je einem heimischen und internationalem Studierenden. Das Programm des International Office der THM soll es neu in die Region kommenden Menschen leichter machen, ihre Hochschule, ihre Stadt und die Mittelhessen besser kennenzulernen. Für Andrei war es über Monate hinweg die wichtigste Verbindung an eine ihm fremde Hochschule. Denn er saß, frisch für einen Master an der THM eingeschrieben, in Bolivien fest. In die digitale Lehre gezwungen wie alle anderen Studieren auch, doch mit einem gewaltigen Unterschied: Ihn trennten sechs Stunden Zeitverschiebung von seinen Vorlesungen. „Ich musste teilweise um 2 Uhr in der Nacht aufstehen und bin um 18 Uhr wieder ins Bett gegangen. Das war schwer, aber es hat geklappt“, sagt der Student des „Control, Computer and Communications Engineering“ am Friedberger Fachbereich IEM. Inhaltlich war er zufrieden, aber doch nagten Zweifel: Warum im Ausland studieren, wenn das Auslandsstudium doch zuhause über den Bildschirm flimmert? Noch dazu waren die meisten Vorlesungen auf Englisch. „Ich wollte aber mein Deutsch verbessern“, sagt Andrei. Das Buddy-Programm bewahrte ihm vor dem Abbruch des Studiums.
„Ich habe im September 2020 in einem Zoom-Call mit anderen Internationalen der THM zum ersten Mal von dem Programm gehört“, erinnert sich Andrei. Gleich beim ersten digitalen Treffen lernte er Michael kennen. Seitdem haben sie dauerhaft Kontakt. Michael sieht darin die wichtigste „Aufgabe“ als Buddy: ein verlässlicher Ansprechpartner sein. Auch wenn es für ihn mindestens ebenso wichtig ist, einen guten Freund gefunden zu haben. Das überzeugt ihn auch am Programm: „Ich war schon an meiner alten Hochschule im Schwarzwald Buddy“, sagt Michael, der den Wert eines „Locals“ zudem durch einen eigenen, einjährigen Studienaufenthalt in China kennt.
Und mit Michael konnte – oder: musste – Andrei auch sein Deutsch trainieren. „Mein Spanisch ist eher durchwachsen“, sagt Michael bescheiden und lacht. Sein Buddy beschreibt die Zoom-Gespräche als ideales Training seines zuvor eingerosteten Deutsch. Bereit 2013/14 war er als Schüler in Coburg zum Austausch. Die Corona-Pandemie setzte dann in ihm die Überlegungen in Gang, nach Deutschland zurückzukehren und auf seinen bolivianischen Bachelor in Mechatronik einen Master aufzusatteln. Obwohl Bolivien kein Hochinzidenz-Land ist, nach offiziellen Daten bislang nicht viel schlechter als Deutschland durch die Pandemie kommt, reizte ihn der Gedanke, sein Studium außerhalb der Heimat zu beenden. „Auch, weil das Studium bei uns viel länger dauert“, ergänzt er. Und dann saß er nach einer positiven Zusage der THM vom Sommer im Herbst und Winter immer noch am heimischen PC fest.
„Dabei war mir von Anfang an klar: Die Prüfungen müssen in Präsenz abgelegt werden“, der März 2021 würde also der Monat werden, in dem sich bereits nach einem Semester die Zukunft seines Masterstudiums entscheiden würde. Käme er dann überhaupt nach Deutschland? Welche Impf- oder Quarantäne-Regeln würden gelten? Wie kann er sich, bei geschlossenen Läden, Cafés, Restaurants, finanziell über Wasser halten ohne Mini-Job. „Ich habe viel mit meiner Familie gesprochen“, erinnert Andrei sich. Am Schluss war klar: Er würde es, familiär unterstützt, versuchen. Im November begannen die Formalien für sein Visa. „Das ist drei dann Tage vor dem gebuchten Abflug angekommen“, berichtet er.
Die Einreise könnte dem Drehbuch für eine Komödie entnommen sein: Während er beim Umsteigen in Paris an einem digitalen Buddy-Café des International Office teilnahm, verlor die Fluggesellschaft einen seiner Koffer. Dann brach in der WG, in die er kurioserweise über einen in Gießen studierenden ehemaligen Coburger Mitschüler kam, Corona aus. „Ich hätte ja umgehend in Quarantäne gemusst und hätte meine Prüfungen verpasst“, sagt Andrei. Michael organisierte also kurzerhand ein Bett bei einem Kumpel. Eine Herausforderung, denn sein Buddy durfte die Wohnung wegen der Einreise-Quarantäne zehn Tage nicht verlassen.
Es hat geklappt, seine Prüfungen hat er erfolgreich angetreten. „Dank Michael, der WG und dem Buddy-Programm haben wir eine Lösung für jedes Problem gefunden“, sagt Andrei über seinen sicher nicht leichten Weg ins zweite Semester. Jetzt hofft er auf eine Verlängerung des Visums bis Abschluss seines Studiums. „Dann würde ich hier gerne eine Arbeit finden“, ergänzt er. Und irgendwann einmal selbst „Local“ sein im Buddy-Programm, das kommt auch infrage.
Foto: THM