Die Hochschule für Forstwirtschaft kann auch anders
Wie alle Hochschulen im Land konnte die Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg (HFR) wegen der Corona-Schutzbestimmungen nicht wie üblich Mitte März mit dem Sommersemester beginnen, sondern musste bis zum 20. April ihre Lehre zunächst komplett in digitale Formen bringen. Das ist in beeindruckender Weise gelungen.
Wer bisher der Überzeugung war, dass „gut Ding Weile haben will“ und man an einer Forsthochschule insbesondere mit 100jährigen Zeithorizonten umzugehen weiß, sieht sich in diesen Tagen eines Besseren belehrt: Schon in der ersten Woche des notgedrungen „digitalen Sommersemesters“ fanden 440 digitale Meetings an der HFR statt, an denen 7.200 Personen teilgenommen haben. Insgesamt sind so über 7.000 Meeting-Stunden zusammengekommen – das entspricht ungefähr 41 Wochen mit jeweils sieben 24 Stunden-Tagen – oder 175 Arbeitswochen.
Setzt man diese beeindruckenden Zahlen in Beziehung zur Gesamtzahl der aktuell etwa 1.100 Studierenden, dann wird deutlich, welche Intensität die digitale Lehre an der HFR selbst in diesen sogenannten „gleichzeitigen Formaten“ (Chats, Video-, und Telefonkonferenzen) in kürzester Zeit erreicht hat. Diese werden durch immer mehr Angebote auf einer digitalen Lernplattform flankiert, die an der HFR seit vier Jahren eingeführt ist und kontinuierlich weiterentwickelt wird. Vor allem seit Beginn des Wintersemesters 2019/20 hat die Hochschule massiv die Digitalisierung vorangetrieben. Der Aufbau eigener Infrastrukturen, wie Kameras, Mikrofonausrüstungen für drinnen und draußen und die schon länger voranschreitende digitale Ausstattung der Hörsäle, zahlen sich jetzt aus. Das Wesentliche ist aber der parallel in dieser Zeit erfolgte Aufbau des erforderlichen Know-Hows.
„Die Digitalisierung der HFR ist ein vorbereiteter Prozess, in den alle Mitarbeitende eingebunden sind. Deshalb traf diese Herausforderung durch die Corona-Pandemie die HFR nicht unvorbereitet“, erklärt der Digitalisierungsbeauftragte der HFR, Prof. Tobias Veith. Die HFR hat ihre Lehre innerhalb von nur vier Wochen aus einer breiten digitalen Grundaufstellung zu einem qualitativ hochwertigen digitalen Lehrangebot an ihre Studierenden weiterentwickelt. So sind die Produktion und der Einsatz eigener Lehrfilme in kürzester Zeit auf das Fünfzigfache gestiegen. Andere Formate wie online-Sitzungen, online-Tests und das Angebot begleitender Lehrmaterialien wurden mindestens verdreifacht – manche verzehnfacht. Der Einsatz von Chatrooms wurde buchstäblich „von 0 auf 100“ gesteigert.
„Ich bin sehr stolz darauf, was meine Kolleginnen und Kollegen, einschließlich unserer Lehrbeauftragten aus der Praxis, in Sachen Online-Lehre auf die Beine gestellt haben. Der enge Austausch untereinander und das gegenseitige Unterstützen haben diesen rasanten Aufbau und Umbau der Lehre erst ermöglicht“, betont der Rektor der HFR, Prof. Bastian Kaiser. Parallel dazu sorgt das Digitalisierungsteam dafür, dass auch die Hochschulleitung, die Gremiensitzungen sowie die Forschung der HFR auf verlässliche digitale Dienstleistungen bauen und die Professorinnen, Professoren sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeit überwiegend von zuhause aus erledigen können.
„Das Wichtigste aber ist, dass unsere Studierenden unsere Angebote gut angenommen haben und sehr kooperativ mitarbeiten“, freut sich Rektor Bastian Kaiser. „So wird es uns gemeinsam gelingen, auch unter den aktuellen Bedingungen ein komplettes und erfolgreiches Semester anzubieten. Das war unser Ziel – im Interesse der Studierenden, aber auch in dem des Arbeitsmarktes. Unsere Absolventinnen und Absolventen werden dringend gebraucht.“
In einer Blitzumfrage, an der fast die Hälfte der Studierenden teilgenommen hat, gaben über zwei Drittel an, mit der Digitalisierung der HFR insgesamt zufrieden oder sehr zufrieden zu sein. Ebenso positiv bewerten sogar drei Viertel der Rückmeldenden die gleichzeitigen digitalen Formate wie Video-Meetings, die vor kurzem noch kaum eine Rolle gespielt hatten.
Dieses positive Feedback wird auch die Digitalisierung der HFR weiter tragen. Denn ihre Studierenden sollen nachhaltig und am Arbeitsmarkt orientiert ausgebildet werden – auch dafür spielt die Digitalisierung eine wachsende Rolle. Die HFR schätzt, dass ihre Absolventinnen und Absolventen in ihrem beruflichen Umfeld bereits jetzt, unabhängig von Corona, rund 50 Prozent ihrer Arbeitszeit digitale Arbeitsmittel nutzen, seien es digitale Werkzeuge, spezielle Programme am Rechner oder bei Besprechungen in Online-Konferenzen. Aktuelle Befragungen zeigen, dass dieser Anteil bis 2030 noch massiv ansteigen wird. Auf diese fortschreitende Entwicklung des Arbeitsumfelds werden die Studierenden vorbereitet, egal ob als Försterinnen und Förster, als Ingenieurinnen und Ingenieure im Energiesektor, im Holzbau oder in der Wasserwirtschaft oder als Expertinnen und Experten für die Weiterentwicklung des Naturraums und der Regionen.
Der HFR ist die Corona-bedingte Sondersituation bewusst. Grundsätzlich darf der besondere persönliche Kontakt auf dem Campus weder in der Lehre noch im Umgang zwischen Studierenden und Lehrenden fehlen. Das macht die besondere Atmosphäre der HFR aus, und das prägt ihre Studierenden für ihren weiteren Weg. Daher bereitet sich die HFR jetzt schon auf eine stufenweise Rückkehr zur Präsenzlehre vor. Sobald die allgemeinen Bestimmungen der Landesregierung dies zulassen, sollen zunächst solche Lehrveranstaltungen wieder am Schadenweilerhof stattfinden, deren Praxisbezug digital nicht gut genug ersetzt werden kann. Das gilt zum Beispiel immer dann, wenn das Fühlen von Materialen und Oberflächen, Geruchserlebnisse oder eigene Versuche und Beobachtungen für den Lernerfolg unersetzlich sind. Das ist in den Disziplinen der HFR, die nicht nur stark auf Naturwissenschaften basieren, sondern mit Natur im eigentlichen Sinne zu tun haben, gar nicht selten.
Die Forschung an den Hochschulen in Baden-Württemberg wurde nicht unterbrochen. Auch an der HFR laufen unerlässliche Laborarbeiten im Kontext mit wichtigen Forschungsprojekten ununterbrochen weiter. „Das sonnige, trockene Wetter hat uns allen bisher sehr geholfen, die Kontaktbeschränkungen in der Corona-Krise gut zu überstehen“, erklärt der Forschungsleiter der HFR, Prof. Stefan Pelz, „aber für unsere ohnehin geschwächten Wälder war das Gift. Spätestens nach Ende des Shutdowns wird uns bewusst werden, dass der Klimawandel auch in den Wochen des Stillstands ungebremst weiterging und wir in der Energie- und in der Mobilitätswende nicht schnell genug weiterkommen.“
Die Verantwortlichen der HFR setzen darauf, dass den Menschen und politischen Entscheidungsträger in den vergangenen Wochen noch bewusster geworden ist, dass wir uns nicht alleine um das Wachstum unserer Wirtschaft kümmern dürfen. Schmerzlich mussten auch Industrienationen in dieser Krise erfahren, wie wichtig eine stabile Infrastruktur für die Daseinsvorsorge in allen Regionen ist – und wie hilfreich neben der Holzproduktion und CO2-Bindung der Wälder auch die Walderholung für die Menschen. Für deren Erhalt, für die Sicherung unserer lebenswerten Zukunft und den Ausgleich zwischen konkurrierenden Interessen im Umgang mit natürlichen Ressourcen leistet die HFR in Forschung und Lehre wichtige Beiträge. Schon seit über 50 Jahren, aber jetzt erstrecht.