Der TH Bingen Inverted Classroom (THBIC)
Die Idee
Allein der Name „Vorlesung“ ist schon ein Anachronismus. Digitalisierung ist das trojanische Pferd, dass es erlaubt, endlich alte Zöpfe abzuschneiden. Dazu gehören z.B. dezimale Gliederungshierarchien („1.2.3.4.“), lange Literaturlisten und Frontalvorlesungen.
Die Durchführung
Alle notwendigen Informationen und Unterlagen sind auf der Online-Lernplattform OpenOLAT zu finden. Zur besseren Motivation und Strukturierung des Studienalltags werden dort die notwendigen Schritte für die Studierenden mit Checklisten zur Verfügung gestellt. Diese Checklisten sind mit Fälligkeitsdaten hinterlegt und müssen fristgerecht abgearbeitet werden. So ergibt sich ein verbindlicher Lernpfad, technisch abgebildet in OpenOLAT. Die Studierenden erhalten zu Semesterbeginn eine Quelle (E-Book), anhand der sie sich den Stoff selbständig erarbeiten (Inverted Classroom). Es gibt keine „Literaturliste“ im engeren Sinne mehr, sondern eine „single source of truth“. Der Stoff ist in sogenannte Units gegliedert. Eine Unit umfasst genau ein Thema möglichst abgeschlossen und so, dass es in 90 Minuten Präsenzveranstaltung erarbeitet werden kann. Vor der Präsenzveranstaltung erarbeiten sich die Studierenden den Stoff der Unit anhand von Lernkontrollfragen. Diese Lernkontrollfragen erhalten sie zu Semesterbeginn in Form von PowerPoint- Folien. Die PowerPoint-Präsentationen heißen Kompasse. Jede Lernkontrollfrage hat ein eindeutiges Schlagwort, das als Hashtag (mit #) kenntlich gemacht ist. Die Studierenden sind aufgefordert, die Lernkontrollfragen vor der Unit schriftlich im Kompass zu beantworten und per E-Mail an den Dozenten einzusenden. Dabei ist einerseits Handschrift ratsam, andererseits müssen die Hashtags maschinenlesbar erhalten bleiben. Die eingereichten Kompasse werden automatisch in das THBIC- Tool, ein selbstentwickeltes Lehr-Tool, eingelesen und dort für die Präsenzveranstaltung aufbereitet. In der Präsenzveranstaltung wird keine klassische Vorlesung mehr gehalten. Der Stoff wird stattdessen anhand der Beiträge der Studierenden rekapituliert, eingeordnet, vernetzt und geübt. Alle offenen Fragen werden beantwortet. Die digitalen Studierenden-Beiträge werden dazu live über die Hashtags im Tool strukturiert, gefiltert und präsentiert (Blended Learning). Neu unter Corona: Die Online- Präsenzveranstaltung aus dem Homeoffice wird in Full-HD Qualität aufgezeichnet. Dabei erscheint der Dozent unten rechts im Bild einschl. Mimik und Gestik als „Talking Head“. Die Videos (Screencasts) werden online dauerhaft zur Verfügung gestellt, sowohl zum Streaming als auch zum Download. Der Video-Server Panopto führt für jedes Video automatisch sowohl eine Spracherkennung der Tonspur als auch eine Texterkennung der Bildspur durch (ASR und OCR). Dadurch wird den Studierenden die Volltextsuche simultan in allen Videos ermöglicht.
Die Learnings
Das Konzept, umgesetzt in 6 Fächern, kommt bei den Studierenden sehr gut an, Testimonials auf Anfrage. Geschätzt werden die Interaktivität, die Würdigung der eigenen Beiträge, aber auch die Möglichkeit zur zeitlichen Selbstbestimmung des Studiums. Letzteres ist mir in Zeiten, in denen viele Studierende arbeiten müssen, um Lebensunterhalt und Studium zu finanzieren, ein persönliches Anliegen. Trotz Aufzeichnung werden die Präsenzveranstaltungen rege besucht. THBIC funktioniert seit 2016 im Hörsaal und war problemlos ins Homeoffice zu portieren. Problematisch ist allerdings die diffuse Rechtslage beim Live-Streaming und der Aufzeichnung, die unter Corona Teil des Konzepts wurden.
Das Showreel
72 Sekunden: http://bod.rhldr.de/