Der Mut zum Scheitern brachte den Erfolg
Eigentlich war es nur eine fixe Idee, die bei Adrian Seuthe und Hendrik Rottländer den Entwicklergeist weckte. Was nun daraus geworden ist, könnte das ganze weitere Leben der Bachelor-studenten im Fach Maschinenbau maßgeblich beeinflussen und zeigt, dass man auch ohne Masterabschluss und Doktortitel ingenieurwissenschaftlich-anspruchsvolle und marktfähige Lösungen entwickeln kann. In diesem Fall ein stufenloses Verstell- und Arretiersystem, das zum Beispiel in Autotüren zum Einsatz kommen könnte. Was man für so eine Entwicklung benötigt, weiß Hendrik Rottländer genau: „Ausdauer und den Mut, auf die Nase zu fallen.“
Den Anstoß für die Entwicklung gab im Jahr 2019 der Studierendenwettbewerb „Innovace“ des Unternehmens ACE, an dem THGA-Studierende schon mehrfach erfolgreich teilgenommen haben. „Die Aufgabe, ein stufenloses Verstellsystem zu entwickeln, hat uns sehr inspiriert“, erinnert sich Adrian Seuthe. Unterstützung und Motivation bekamen sie von THGA-Prof. Dr. Stefan Vöth, bei dem Seuthe und Rottländer den Schwerpunkt Entwicklung und Konstruktion studieren. Aus ersten Ideen erwuchs bald leidenschaftlicher Ingenieursgeist. Etliche Modelle wurden erdacht und verworfen, bis in den Semesterferien die zündende Idee kam. „Ich weiß noch, wie ich am Pool saß und wir uns die Skizzen per Mail hin- und hergeschickt haben“, so Rottländer. „Dann rief Adrian an und sagte: ‚Ich hab’s!‘ Das war der Durchbruch.“
Das System funktioniert über die Regulierung des Durchflusses einer Flüssigkeit zwischen zwei separaten Kammern. Wird der Kolben bewegt, findet in den Kammern eine Volumenänderung statt. Die Flüssigkeit sorgt hierbei für den Volumenausgleich. Wird der Durchfluss unterbunden, kann kein Volumenaustausch mehr stattfinden: der Kolben blockiert und das verbundene System ist fixiert. Im Falle einer Autotür bliebe diese beim Öffnen oder Schließen genau dort stehen, wo die Bewegung beendet wird und gleitet nicht weiter bis zum nächsten Einrastpunkt. Ungewolltes Touchieren von benachbarten Autos gehört somit der Vergangenheit an. Das System besteht lediglich aus acht Teilen und ist so leicht zu montieren. Man kann es zudem mit Sensoren um zahlreiche Einsatzmöglichkeiten erweitern und sehr platzsparend verbauen.
Die Teilnahme am ACE-Wettbewerb war für die beiden schnell zur Nebensache geworden. Angesichts der Rückmeldung von Professor Vöth hatten Sie die Idee „größer“ zu denken: „Er sagte uns, dass unsere Lösung ebenso einfach wie genial sei und gab uns den Mut und das nötige Selbstvertrauen, die Idee und ihre tatsächliche Marktreife weiter voranzutreiben“, so Seuthe.
Im nächsten Schritt wurde der Wettbewerbsbeitrag in einer Studienarbeit „zweitverwertet“. Doch damit nicht genug: Seuthe und Rottländer ließ die Idee nicht los, die Entwicklung tatsächlich auf den Markt zu bringen. Um geschäftsfähig zu sein, gründeten sie im Jahr 2020 eine GbR und meldeten ihr System zum Patent an. Die komplizierten Verhandlungen mit dem Patentamt haben sie inzwischen in die Hände eines Anwalts gelegt. „Das kostet uns zwar ziemlich viel Geld und uns ist bewusst, dass wir mit der Anmeldung auch scheitern können, aber dann haben wir uns immerhin getraut. Wenn man nichts wagt, kann man auch von nichts profitieren – noch nicht mal von der Erfahrung des Scheiterns“, erklärt der 24-jährige Seuthe.
Der ebenfalls neuen Erfahrung, die eigene Entwicklung einem Fachpublikum aus über 30 Ländern zu präsentieren, internationale Kontakte zu knüpfen und potenzielle Partner zu finden, stellten sie sich im Sommer 2020 beim renommierten Forum-Wettbewerb für Studierende und junge Forscherinnen und Forscher in Sankt Petersburg. Coronabedingt fand dieser erstmals als Onlineformat statt. Seuthe und Rottländer konnten überzeugen und wurden mit dem Preis als beste Vortragende in ihrer Kategorie ausgezeichnet. „Es war zwar schade, dass wir nicht nach Sankt Petersburg reisen konnten, aber durch die ungewohnte Präsentationsform waren wir bei unserem Vortrag anders gefordert. Wenn alles online abläuft, muss man die Präsentation noch anschaulicher gestalten, um die Zuhörer bei der Stange zu halten“, so Seuthe.
Zwar hat bei Hendrik Rottländer das Studium ein wenig unter den vielen unternehmerischen und wissenschaftlichen Aktivitäten gelitten, aber das war es ihm auf jeden Fall wert: „Einige Prüfungen musste ich ins nächste Semester schieben. Aber ich habe auf so vielen anderen Ebenen so viel gelernt, dass es das wert war.“ Sein Firmenpartner Seuthe hat gerade das Masterstudium an der THGA begonnen und arbeitet zudem als Tutor für Maschinenelemente.
Parallel dazu knüpfen sie bereits Kontakte zur Automobilindustrie, um ihre Entwicklung schon vor Patenterteilung bekannt zu machen. Noch immer etwas unwirklich erscheint ihnen das Umfeld, in dem sie sich nun bewegen. „Ich sollte eigentlich auf die Hauptschule gehen und habe nun Briefwechsel über unsere eigene Entwicklung mit den großen Playern der Automobilindustrie. Das ist mehr, als ich mir jemals erträumt habe“, resümiert Rottländer.
Professor Vöth steht seinen Studenten nach wie vor unterstützend zur Seite. Sind die beiden doch ein sehr gutes Beispiel dafür, dass ein Masterstudium allein keine Bedingung für wirtschaftlichen Erfolg ist und schon Bachelor-Studierende in der Lage sein können, gute Lösungen für ingenieurwissenschaftliche Probleme und zugleich unternehmerisches Denken zu entwickeln. „An der ganzheitlichen Sicht auf ein Projekt scheitern Ingenieure oftmals“, weiß Vöth. „Sie sehen dann nur ihre Entwicklung, vergessen aber Dinge wie Kommunikation, Vertrieb, Steuern oder Finanzierung.“ Wer wie Adrian Seuthe und Hendrik Rottländer vielleicht einmal von eigenen Entwicklungen leben möchte, müsse sich für das gesamte Projekt begeistern und auch viel Zeit in die Entwicklung investieren, um zum Ziel zu kommen. „Die besten Lösungen sind die einfachsten Lösungen, aber es wird unterschätzt, wie schwierig es ist, die einfachsten Lösungen zu finden. In diesem Fall ist das hervorragend gelungen“, freut sich der Professor.
Fot: THGA / Lichtblick / Wiciok