Aus der Gaming-Branche ins Curriculum des Maschinenbau-Studiums
HRW Studierende tauchen ein in virtuelle Anlagen und Maschinen
Folgendes Szenario: Sie stehen mitten in einer Werkhalle und arbeiten an einer Fräsmaschine. Rechts das Bedienmenü. Das Rohteil ist eingespannt, das System startet und die Maschine fräst ein Werkstück, dass zuvor im CAD-System genau durch-dacht konstruiert wurde. Verflixt! Das Ergebnis ist nicht wie erwartet. Irgendwo ist in der Prozesskette ein Fehler. Vielleicht wurde die Maschine doch falsch bedient? Das Rohteil nicht richtig gewählt? Die Vorserienproduktion könnte teuer werden. Macht alles nix! Denn das Ganze fand in der virtuellen Realität statt!
Virtual Reality (VR) und Maschinenbau werden längst im selben Kontext genannt. Mit VR-Technologie können Arbeitsprozesse von Anlagen simuliert und Mitarbeiter*innen im Umgang mit komplexen Maschinen und Anlagen geschult werden, ohne dabei die teuren Maschinen zu belegen. Zudem können Risiken vor einer teuren Vorserienproduktion minimiert werden. Die Nutzung der Maschine und der Ein- und Ausbau von Maschinenteilen kann genauso gezeigt werden wie die Reparatur. Ingenieur*innen bilden dabei die Brücke zwischen Softwareentwicklung und praktischer Anwendung in Unternehmen.
„Maschinenbauerinnen und Maschinenbauer werden in ihrem Berufsleben eher selten dauerhaft an Dreh- oder Fräsmaschinen arbeiten. Aber sie werden sich mit der Optimierung von Prozessketten oder Produktivitätssteigerung beschäftigen. Erfahrungen mit innovativen Bearbeitungszentren sind daher vorteilhaft. Ebenso eine gewisse Expertise in der VR-Technik. Vor allem, wenn die Ingenieur*innen Prototypen entwickeln wollen“, berichtet Prof. Dr. Joachim Friedhoff. Der Grund dafür: Die Digitalisierung in Unternehmen schreitet weiter voran und sie brauchen kreative und gut ausgebildete Beschäftigte.
Im Wahlmodul ‚Computer aided product development and manufacturing‘ im Studium Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen-Maschinenbau setzen sich Studierende genau damit auseinander. Es geht um Produktentwicklung, Konstruktion mit CAD-Systemen, Produktionsinformatik, computergestützte Planung von Prozessen und auch um die Herstellung von Prototypen. „In meinem Modul beschäftigten sich 25 Studierende mit diesem Thema und wir haben in unserem Technikum sehr moderne Maschinen. Doch immer nur eine“, so Friedhoff. Um also alle interessierten Studierenden, zum Beispiel an einer Fräsmaschine auszubilden, fehlen die Kapazitäten.
Die Lösung: die Fräsmaschine im Technikum des Instituts Maschinenbau wird fotorealistisch und in Echtzeit visualisiert. Und acht Studierende können die Bedienung mithilfe einer VR-Brille gleichzeitig ausprobieren. Sie bewegen sich vorsichtig in den eingegrenzten Boxen, bedienen Knöpfe mit Joy-sticks, blättern durchs Bedienmenü, lesen Referenztabellen, schauen nach oben und unten. „Ungewohnt und ungewöhnlich, aber sehr faszinierend“, beschreibt Maschinenbaustudent Florian Eickhoff seine ersten Erfahrungen. „Es schult die räumliche Vorstellungskraft und man kann das Ganze einfach ausprobieren – ohne Kosten zu verursachen. Und es macht einfach auch Spaß.“
Das bestätigt auch Prof. Dr. Joachim Friedhoff: „Das VR-Coop-Lab fungiert als Bindeglied zwischen Theorie und Praxis. Dennoch soll die VR kein Ersatz zu echten Lernwelten sein, sondern als Ergänzung und Unterstützung genutzt werden.“ Dennoch: Interdisziplinäre Projekte und Lerneinheiten modernisieren das Maschinenbaustudium. Die Studierenden haben die Möglichkeit, sich IT Kenntnisse anzueignen und zu vertiefen.
Das VR-Coop-Lab ist ein gemeinsames Projekt der Institute Informatik (Prof. Dr. Sabrina Eimler) und Maschinenbau (Prof. Dr. Joachim Friedhoff). Gemeinsam mit ihren Teams erarbeiten und erproben sie standortübergreifend Szenarien und Anwendungen zur Anreicherung der Lehre mit modernen Technologien. So lieferten die Maschinenbauer den Datensatz der Hermle Fräsmaschine und die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts Informatik, Dustin Keßler und Alexander Arntz, erstellten und programmierten die aufwändige VR-Welt rund um die Maschine. In einer parallel durchgeführten Stu-die wird die Anwendung ausgewertet. Gefragt wird nach dem Empfinden der Achsensteuerung. Wie angenehm ist die Teleportation (schnelle Ortswechsel) in der VR Welt? Wie leicht war die Steuerung mit dem Controller? Unterstützt wurde das Projekt durch Mittel zur internen Lehrförderung. Damit konnten zum Beispiel die acht kabellosen VR-Datenbrillen angeschafft werden.
Foto: HRW / Köhring