„Architektur ist Kommunikation“
Ronald Scherzer-Heidenberger, Professor für Städtebau und Regionalplanung über das Leben in Städten, Bürgerbeteiligung und Gärtnern auf Brachflächen
Prof. Ronald Scherzer-Heidenberger lehrt seit 25 Jahren an der HTWK Leipzig Städtebau und Regionalplanung – mit engem Bezug zur Praxis. So unterstützt er jedes Jahr mit Studierenden den Landeswettbewerb „Ab in die Mitte! Die City-Offensive Sachsen“: Die Architektur-Fachleute der HTWK Leipzig stiften seit 2016 einen eigenen Preis – die wissenschaftliche Begleitung eines Projekts zur Belebung einer als Preisträgerin ausgewählten sächsischen Kommune.
Bei der City-Offensive geht es darum, die Zentren mittlerer und kleiner sächsischer Städten (wieder) zu beleben, weil viele von ihnen stagnieren. Sie stiften als Preis „wissenschaftliche Begleitung“ mit Studierenden. Wie kam es dazu und was ist das Ziel?
Zum einen beschäftige ich mich mit dem Kernthema des Wettbewerbs, also den Problemen der Innenentwicklung vor allem von Klein- und Mittelstädten, schon allein aufgrund meiner Professur an der HTWK Leipzig. Zum anderen bin ich seit Beginn der City-Offensive in engem Kontakt zum Initiativkreis und der Projektorganisation, die von der IHK Leipzig geleistet wird, war Referent bei Veranstaltungen und Jurymitglied. So lag es nahe, aus der sporadischen Mitarbeit eine kontinuierliche Unterstützung werden zu lassen.
Wie darf man sich die „wissenschaftliche Begleitung“ vorstellen?
Wir stellen der jeweiligen Kommune unsere Expertise für eine Projektbegleitung zur Verfügung. An einem Projekt arbeiten zwischen zehn und zwanzig Bachelor- oder Master-Studierende. In Einzel- und Gruppenarbeiten werden meist Entwürfe für ein stadträumliches Themenfeld erarbeitet. Dem voraus gehen Ortsanalysen und Gespräche zu Nutzungsmöglichkeiten. In der Regel werden die Projekte ein Semester lang bearbeitet. Sie sind Lehrgegenstand, z.B. im Masterwahlfach Planung: Kommunizieren, Moderieren. Die Studierenden fahren in dieser Zeit teilweise mehrmals in die jeweilige Stadt, um dort mit den Verantwortlichen, Einwohnerinnen und Einwohnern ins Gespräch zu kommen, gemeinsam Ideen zu entwickeln und Workshops zu moderieren. Ein Aspekt ist mir besonders wichtig: Angehende Architekten und Architektinnen erarbeiten die Inhalte ihrer stadträumlichen oder architektonischen Arbeit mit denen, die sie später nutzen werden. Auf der anderen Seite ist es ein entsprechender Gewinn für die beteiligten Kommunen, konkrete Vorschläge für den Umgang mit Problemfeldern ihrer Innenstadtentwicklung zu erhalten.
Können Sie das an einem konkreten Beispiel erklären?
Jüngstes Beispiel ist ein Projekt für die Stadt Zittau. Unter dem Motto „Zittau gärtnert“ beteiligte sich die Stadt mit einem Konzept zur intensiven Begrünung der „steinernen“ Innenstadt und Wiederbelebung der langen gärtnerischen Tradition am Wettbewerb „Ab in die Mitte“ und wurde dafür von der Jury mit dem Unterstützerpreises der HTWK im Jahr 2018 ausgezeichnet. Während des Folgejahres konzipierten wir gemeinsam mit der Zittauer Stadtentwicklungsgesellschaft, der Stadtplanung und Wirtschaftsförderung den Inhalt für ein Studienprojekt des Masterstudiums Architektur. Zugleich nahm ich Kontakt zur dortigen HAW, der Hochschule Zittau/Görlitz, auf und fand in der Fakultät Natur- und Umweltwissenschaften eine interessierte Partnerin für eine Semesterkooperation. Als Planungsgegenstand wurde die Reaktivierung einer unansehnlichen Innenstadtbrache, wenige Meter vom historischen Marktplatz entfernt und gegenüber des Jugendtreffs der Stadt gelegen, identifiziert. Ziel sollte es sein, diese Brache zu einer wirkungsvollen Freizeitfläche mit hoher ökologischer Wirksamkeit zu entwickeln. Nach einer gemeinsamen Vor-Ort-Analyse wurden im Dezember 2018 Gestaltungsansätze erarbeitet und dann im Januar 2019, bei einem weiteren Workshop, der von den HTWK-Studierenden konzipiert und moderiert wurde, mit der Stadt und Beteiligten der Jugendarbeit weiter vertieft. Die Ergebnisse wurden in einer Dokumentation festgehalten und der Stadt übergeben.
Wie funktioniert dann die Bürgerbeteiligung vor Ort tatsächlich, wenn die Studierenden ihre Entwürfe vorstellen?
In der Stadtplanung und vor dem Hintergrund stetig wachsender Bedeutung von Bürgerbeteiligung muss Architektur Akzeptanz erzeugen. Nur „schöne Bilder“ zu malen genügt schon lange nicht mehr. Die Architektin, der Architekt, muss den Entwurf, seine ästhetischen und funktionalen Qualitäten auch gegenüber Nichtfachleuten kommunizieren, das heißt, erklären können. Da geht es um Diskussionsfähigkeit und Moderationskompetenz. Mit der jahrzehntelang geübten Arroganz des fachlichen Wissensvorsprungs gegenüber der Welt der ingenieurtechnischen Laien in der Kommunalpolitik ist in den Debatten heutiger Stadtgesellschaften kein Blumentopf mehr zu gewinnen. In Distanz zwischen Planenden und Gesellschaft entsteht nicht zwangsläufig gute Architektur. Im Gegenteil: Architektur ist Kommunikation – und das heißt, Bedürfnisse erkennen, Interessen ausgleichen, Praxisvorgaben erfüllen, und das alles durch überzeugende gestalterische und atmosphärische Qualitäten zu erreichen. Hierin liegt für mich die „Kunst“ guter zeitgenössischer Architektur. Und als Stadtplaner ist man automatisch immer auch Teil der Kommunalpolitik.
Wie ist das für die Studierenden – dieser enge Kontakt zur Praxis gleich im Studium?
Es erdet sie und macht sie praxistauglich. Sie haben mit echten Menschen und echten Problemen zu tun. Wir sind eine Hochschule Angewandter Wissenschaften, das heißt, gesellschaftliche Prozesse sind auch Studieninhalt, und die Studierenden müssen in der Lage sein, sich damit auseinanderzusetzen. Sie entwickeln sich dadurch auch persönlich weiter. Um diese Qualifikationen im Architekturstudium einzubauen, habe ich im Jahre 2000 das Fach Planung: Kommunizieren, Moderieren konzipiert, das nach der Abschaffung der Diplomstudiengangs nun im Masterstudium als Wahlpflichtfach weiter von mir angeboten wird. Aus der Zusammenarbeit mit der Cityoffensive und dem engen Kontakt zu Kommunen ergeben sich aber auch noch andere Möglichkeiten für unsere Studierenden. So haben Architekturstudierende, die ich den Kommunen quasi „vermittelt“ habe, in Torgau und Kamenz die Projektbeiträge für den Wettbewerb „Ab in die Mitte“ wesentlich miterarbeitet und in eine professionelle Gestaltung übersetzt. Beide Städte waren mit diesen Projekten Preisträgerinnen im Wettbewerb. Das ist natürlich eine ganz besondere Auszeichnung für unsere Studierenden. Der Berufsstand der Architekten lebt vom Wettbewerb, und so ist es die höchste Auszeichnung, schon als angehender „Profi“ beweisen zu können, dass man in der harten Wettbewerbsrealität ganz vorne mithalten kann.
Was möchten Sie Ihren Studierenden mit auf den Berufsweg geben?
Sie sollen vor allem zuhören und sich verständlich machen können. Sie sollen sich als Dienstleister bzw. Dienstleisterinnen in der Gesellschaft begreifen. Sie sollen im Team arbeiten können und schauen, wie sie ganz unterschiedliche Interessen zusammenbringen können. Übrigens: Je konkreter die Vorgaben sind, umso besser für den Architekten bzw. die Architektin. Denn dann kann ganz genau nach diesen Vorgaben gestaltet werden. Das bedeutet natürlich, dass sich der Auftraggeber selbst darüber im Klaren sein muss, was er will. Dies ist übrigens erstaunlich oft nicht der Fall. Hier hilft es den Architektinnen sehr, wenn sie aufgrund ihrer Kommunikationskompetenz zwischen laienhafter Aufgabenbeschreibung und planerischer Fachsprache „übersetzen“ können.
Die Fragen stellte Franka Platz.
Foto: Robert Weinhold (HTWK Leipzig)